Der Faktor der Verwundbarkeit IV

(7) Wir sind es gewohnt, Fehlformen des Erlebens und Verhaltens auf ihre Genese, ihre ursprüngliche Entstehung hin zu untersuchen. Uns leitet dabei der Gedanke, daß die Kenntnis der Entstehungsursachen uns ausreichende Hinweise geben könne, die vorliegenden Symptome wirkungsvoll anzugehen und zu beheben.

 

Dieses Vorgehen ist jedoch - wie wir aus der kritischen Auseinandersetzung mit der psychoanalytischen Methode wissen - mit einer Reihe von Schwierigkeiten belastet. Wir wollen hier nur das wichtigste Argument anführen: Schädigende Eindrücke und damit Erlebnisse werden zu ihrer Zeit vom Kind im Maße seiner Erlebnisfähigkeit verarbeitet und im Verlauf der weiteren Entwicklung zumeist abgewertet, gelegentlich aber auch aufgewertet, in jedem Falle umgeformt.

 

Im einzelnen lassen sich diese Transformationen von einem späteren Lebensstadium her nicht mehr zuverlässig erfassen. Alle Versuche, gegenwärtiges Verhalten aus vergangenen Ereignissen und Erlebnissen abzuleiten, sind zum Scheitern verurteilt, da uns die ursprüngliche Lagebefindlichkeit und die Einflußfaktoren nur über die gefilterten Erinnerungsfragmente des Klienten, also unvollkommen und verzerrt, zugänglich werden können.

 

Um diesem Dilemma zu entgehen, hat man sich bemüht, eine Reihe exemplarischer kritischer Phasen und Lebensereignisse zu konstruieren und gegenwärtiges Verhalten im Sinne plausibler Kausalattribuierung darauf zurückzuführen. Diese Deutungs- und Konstruktionsmanöver sind unzuverlässig; sie sind daher auch therapeutisch nicht verwertbar. Im übrigen können wir alles, was sich in der Vergangenheit ereignete, nicht mehr rückgängig machen.

 

Vergangenheit bleibt Vergangenheit

Auch wenn wir versuchen, sie noch einmal in der Vorstellung wiederzubeleben, bleiben ihre Spuren und Narben. Es gibt keine Löschung der Vergangenheitsspuren, noch nicht einmal eine kosmetische Vergangenheitsbewältigung.

 

Therapeutisch wichtig ist, daß wir unseren Blick auf die Gegenwart richten. Was uns hier in der Erlebnisfähigkeit und Lebensbewältigung hemmt und behindert, können wir ändern: hier können wir angreifen, lernen und umlernen. Wir müssen Ausschau nach den Gegenwartsursachen halten, nach jenen Ursachen, die uns in unserer jetzigen bedrückenden Lage festhalten, diese immer wieder neu belasten.

 

Im Modell des LAU-Syndroms erweisen sich die Äußerungsweisen dieses Syndroms zugleich als die nachweisbaren gegenwärtigen Stützursachen. Mit dem Abbau dieser Ursachen, mit der Neuorientierung in der Gegenwart - die ja die Vergangenheit von morgen ist - erreichen wir eine tragfähige Erlebnis- und Verhaltensgrundlage für unsere aktuellen und zukünftigen Lebensvollzüge.

 

Das LAU-Syndrom und das Erregungsmuster, d.h. die Aktivation, sind Grundbegriffe der sogenannten Aktivationstherapie. Wir werden sehen, daß in dieser Therapie noch ein dritter Begriff von großer Bedeutung ist. Er stützt sich auf die Selbstheilungstendenzen des Organismus; wir bezeichnen ihn als Selbstkontrolle.

 

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