Der Faktor der Verwundbarkeit III
(5) Die gesellschaftlich bedingten Lebensumstände und wir selbst sind dafür verantwortlich, daß heute so viele Menschen unzufrieden sind, an psychischen und psychosomatischen Beschwerden leiden. Allem Anschein nach beachten und kultivieren wir zu wenig Eigenschaften, die in vollem Sinne lebenstragend und -fördernd sind, Eigenschaften, die menschliche Wärme und psychosoziales Wohlbefinden tragen und verbreiten: z.B. soziale Sensibilität und Solidarität; Gefühlsäußerungen; Aufrichtigkeit und Vertrauen; Kunst und Kreativität; Meditation.
(6) Vor über vierzig Jahren hat der amerikanische Psychologe Lindsley die Aktivationstheorie entwickelt. Subkortikale Erregungsmuster werden durch kortikale Prozesse beeinflußt. In Fortführung dieser Gedanken stellte Schachter seine berühmte kognitive Emotionstheorie auf. Nach ihr werden durch bestimmte kritische Reize zunächst tiefere Zentren des Gehirns (Hypothalamus, limbisches System, Retikularformation) in Erregung versetzt. Diese Erregungen werden von höheren Zentren des Gehirns durch die dort produzierten Gedanken, Vorstellungen, Erwartungen bzw. Befürchtungen gedeutet, d.h. signiert. Diese Interpretation wird uns dann in entsprechenden positiven bzw. negativen Gefühlsregungen bewußt.
Die Gefühle sind also keine originären Erlebnisweisen; sie sind mitbestimmt durch kognitive Deutungsprozesse. Die Deutungsprozesse, die durch die aufsteigenden neutralen Erregungen in Gang kommen, laufen oft außerordentlich schnell in Bruchteilen von Sekunden ab, so daß wir meinen, die Gefühle kämen einfach über uns. Wir haben keine Gefühle, wir erzeugen unsere Gefühle.
Mit dieser Erkenntnis ist uns eine neue Chance der therapeutischen Einflußnahme eröffnet worden. Wir können lernen, unsere Gefühle zu steuern. Basiserregungen dienen dazu, den Organismus für die Bewältigung der jeweiligen Situation in Bereitschaft zu setzen. Wir bezeichnen diese motivierende Erregung auch als Aktivation.