Der Faktor der Verwundbarkeit II

30 bis 40% der Menschen in den Industriegesellschaften leiden an dieser oder jener psychischen und psychosomatischen Störung. Sie sind daher mehr oder weniger in ihrer Leistungs-, Kommunikations- und Liebesfähigkeit beeinträchtigt. Sie bedürften dringend einer psychotherapeutischen Behandlung.

 

Etwa zwei Drittel aller von den Allgemein- oder praktischen Ärzten behandelten körperlichen Beschwerden sind psychisch bedingt. Wir wissen, daß Medikamente nur vorübergehende Linderung schaffen, aber keine Heilung zustande bringen. Erhöhte Erregbarkeit, Schlafstörungen und Kopfschmerzen werden mit Sedativa behandelt. Sie - wie übrigens auch die leichtfertig gehandhabten Krankschreibungen - helfen wenn überhaupt nur vorübergehend. Diese Maßnahmen schwächen - wenn sie nicht durch eine psychotherapeutische Behandlung ergänzt werden - die Selbstheilungskräfte; sie stützen und verstärken das LAU-Syndrom.

 

 

Wir sagten, daß wir bei der Entstehung dieses LAU-Syndroms auch auf die Gesellschaft, in der wir leben, hinweisen müssen. Die Gesellschaft zeigt Symptome, die ein zufriedenstellendes psychosoziales Leben erschweren:

 

  a) Menschen achten bei sich selbst und bei anderen weniger auf die gefühlsmäßigen Andeutungen und Äußerungen. Die Kultur des Rationalen schätzt alles Berechenbare, die Mechanik der technischen Abläufe, Daten und Zahlen.
  b) Menschen bevorzugen bei zunehmender Bürokratisierung alles Schriftliche, Anweisungen und Verordnungen, die Einhaltung des Dienstweges. Persönliche Vorsprachen, Aussprachen und Zuwendungen werden unterbunden. Menschen haben daher nur oberflächliche Kontakte.
  c) Menschen sind auf das Machen, Herstellen und Verbessern der äußeren Bedingungen im Hier und Jetzt fixiert. Erfolge müssen sich möglichst rasch einstellen. Die Ungeduld ist ein Signum unserer Zeit. Das Denken in größeren und komplexeren historischen und strukturellen Zusammenhängen ist nicht 'in'. Die Kultur der Seele, die Psychologie der Zärtlichkeit, Standortgebundenheit und Verantwortung findet keine Resonanz.

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