Die Wissenschaftsbasis
(9) Wettstreit der Psychotherapien
Man sollte aus einigen vorangegangenen Bemerkungen nicht folgern, daß wir die Psychoanalyse abwerten. Die Kognitive Verhaltenstherapie geht von anderen Erkenntnissen und Erfahrungen aus; ihre Arbeit steht in einem anderen theoretischen und praxeologischen Bezugssystem.
Da wir - philosophisch gesehen - den konstruktiven Alternativismus vertreten, nach dem jede Wirklichkeit - im besonderen Maße die Wirklichkeit psychosomatischer und psychosozialer Geschehnisse - eine Konstruktion, ein mentaler Tat-Bestand ist, ist es unangebracht, andersartige Konstruktionen zu attackieren. Psychoanalyse und Verhaltenstherapie arbeiten in ihrem jeweiligen Konstrukt(ions)system psycho-logisch folgerichtig und stimmig. Bei unserer Entscheidung für die Kognitive Verhaltenstherapie waren vor allem fünf Aspekte maßgebend:
- Der Ökonomieaspekt.
Die zeitliche Erstreckung der Kognitiven Verhaltenstherapie und damit der finanzielle Aufwand für die Durchführung dieser Therapie sind durchgängig wesentlich geringer als bei der Psychoanalyse. - Der experimentelle Fundierungsaspekt.
Die Theorien und Strategien der Kognitiven Verhaltenstherapie werden durch die Forschungen der modernen Neurophysiologie, Informations- und Kommunikationswissenschaft gestützt, dadurch zugleich aber auch in ihrer Weiterentwicklung gefördert. Die Kognitive Verhaltenstherapie ist also ein offenes therapeutisches System. - Der Aspekt der Methodenvielfalt.
Die behavioralen und mentalen therapeutischen Verfahrensweisen der Kognitiven Verhaltenstherapie sind sehr differenziert und vielgestaltig, so daß die individuelle Lage- und Leidensbefindlichkeit der Klienten angemessen zu erfassen und zu verändern ist. - Der Plausibilitätsaspekt.
Die Verfahren der Kognitiven Verhaltenstherapie knüpfen an die Alltagserfahrung der Klienten an, so daß ihnen die Vorgehensweise des Therapeuten offenkundig einleuchtet und sie zur Mitarbeit von Anfang an hochmotiviert sind. - Der Erfolgsaspekt.
Der Erfolg stellt sich in der Kognitiven Verhaltenstherapie systematisch und schrittweise in Abhängigkeit von den therapeutischen Interventionen und den damit mobilisierten Selbstheilungskräften der Klienten ein. Der Erfolg kann am fortschreitenden Symptomabbau und der Wiedergewinnung der Lebenstüchtigkeit und Freudefähigkeit im Leistungs-, Kommunikations- und Liebesbereich vom Therapeuten, Klienten und seinen Bezugspersonen abgelesen und nachgeprüft werden. Die Verzahnung behavioraler und mentaler Methoden führt zur emotionalen Stabilität und zum Kompetenzverhalten, so daß Rückfälle (im allgemeinen) nicht zu erwarten sind.
Wir scheuen uns bei der derzeitigen Lage der Psychotherapien, der Kognitiven Verhaltenstherapie einen höheren Grad von Wissenschaftlichkeit zuzusprechen. Solche Attributionen geraten allzu leicht in die Nähe dogmatischer Behauptungen. Der Begriff der "Wissenschaftlichkeit" sollte unseres Erachtens durch den (wohl bescheideneren) Begriff der "Brauchbarkeit" ersetzt werden. Diese Entscheidung fordert die Psychotherapeuten auch zu einem toleranten kooperativen Wettstreit heraus.